„Stadtbegrünung wird als eine der wichtigsten Aufgaben urbaner Klimaresilienz gesehen.“

Prof. Dr. Stefan Lindl, Historiker an der Philologisch-Historischen Fakultät der Uni Augsburg

Fünf Fragen an Prof. Dr. Stefan Lindl

2050 werden mehr als die Hälfte aller Menschen in einem urbanen Raum leben. Das hat Konsequenzen für die Freiraumplanung.

Kann Bildung einen Menschen dazu bringen, Verantwortung für die Natur zu übernehmen?

Prof. Dr. Stefan Lindl: Bildung allein reicht nicht. Zuerst muss ein Problembewusstsein vorhanden sein oder irgendeine Form des Bezugs zur Natur, die ein Gefühl der Verbundenheit ermöglicht. Dann kann Bildung vertiefend wirken. Menschen müssen emotional berührt werden. An einem Beispiel kann ich das festmachen. Ich halte Vorlesungen zu historischer Gletscherforschung. Jahrelang war das für die Studierenden schon okay, die haben sich das angehört – aber da war keine emotionale Bindung zu den verschwundenen Gletschern und dem Klimawandel. Seit dem Jahr 2019 änderte sich das mit der Fridays-for-Future-Bewegung. Der Schulstreik mit der Aussage, wir verweigern Bildung, weil ihr uns unsere Zukunft verweigert, ergriff viele junge Menschen, so auch meine Studierenden. Plötzlich waren meine Lehrveranstaltungen keine Pflicht mehr, sondern die Möglichkeit über Sorgen, Wünsche, Hoffnungen und deren Einordnung in der Welt zu reden. Bildung benötigt Ergriffenheit.

Was leistet die Umweltethik ganz konkret?
S L: Laut den Prognosen wird 2050 mehr als die Hälfte aller Menschen in einem urbanen Raum leben – gleichzeitig steigt der Meeresspiegel. Das heißt, wir haben eine enorme klimabedingte Migration zu erwarten. Da stehen wir vor gewaltigen Problemen. Darauf müssen wir antworten. Das geht nur, indem wir durchlässige Gesellschaften haben. Wir sind verpflichtet, Menschen aus anderen Ländern aufzunehmen. Das bringt Konflikte, um sie zu lösen, müssen wir neue Stadträume schaffen. Aber das gelingt nur, wenn wir Strategien entwickeln, die auf möglichst gut abgesicherten und wohlüberlegten Entscheidungen ruhen. Um diese Entscheidungen zu treffen, benötigen wir Werkzeuge des Bewertens und Abwägens. Die Umweltethik stellt sie bereit.
Wie müssten Parks und Gärten angesichts der Zuwanderung gestaltet sein?
S L: Es wird voraussichtlich eng in Städten werden. Eng und heiß. Stadtbegrünung wird deswegen als eine der wichtigsten Aufgaben urbaner Klimaresilienz gesehen. Parks und öffentliche Gärten werden den zu heutigen Verhältnissen verkleinerten Wohnraum kompensieren müssen. Folglich wird es einen großen Bedarf an Grünflächen geben. Zusätzliche Flächen stehen meist nicht zur Verfügung. Deswegen können sie nur aus anders genutzten Flächen in Grünzonen transformiert werden. Daraus ergeben sich schon heute Zielkonflikte mit dem Mobilitätsverständnis der Stadtbewohner und auch mit dem Denkmalschutz. Können diese Konflikte gelöst werden, kann es an die Planung für Grünanlagen gehen. Kommunikative Räume zu schaffen, wird eine der wichtigen Aufgaben zu sein. Es braucht geschützte Räume, in denen wir den urbanen Gruppen ihre Bereiche zugestehen, in denen sie ihre Identität pflegen können, die sie selbst auch gestalten können – zum Beispiel so, dass man Wege nicht mehr vorgibt, sondern sie einfach entstehen lässt. Partizipation wird, wie in allen anderen Lebensbereichen, eine markante Position in der Stadtentwicklung und -gestaltung einnehmen.
Partizipation spielt bei Gartenschauen eine große Rolle. Wie erklären Sie sich das große ehrenamtliche Engagement?

S L: Identitätsbildung dürfte dafür ein Schlüsselbegriff sein. Man wirkt gemeinschaftlich an einem Projekt mit, das die Stadt aufwertet, in der die Gartenschau stattfindet. Für mich sind diese Beteiligungsformen und das Engagement eine Art Laboratorium, in dem sichtbar wird, welche gestalterischen Möglichkeiten in der Partizipation liegen.

Was können Gartenschauen angesichts der Klimakrise bewirken?

S L: Die Grünflächen, die bei Gartenschauen entstehen, können direkt helfen, Probleme zu lösen. In Städten wie Stuttgart gibt es Hotspots, dort kühlt es auch nachts nicht mehr ab. Das wird zu einem Riesenproblem. Grün ist Pflicht, sonst sind diese Stadträume bald nicht mehr bewohnbar. Aber Gartenschauen bieten noch eine andere Möglichkeit. Sie können helfen, für die Ergriffenheit zu sorgen, die so notwendig ist, um Verantwortungsbewusstsein für die Natur zu entwickeln. Gartenschauen wirken emotional. Diese emotionale Wirkung von Pflanzen und Naturprinzipien, die dort zu sehen und zu erleben sind, wären dann wieder der Ausgangspunkt für Bildung.

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